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Kommentar aus der "Zeit", Heft
51 vom 12.12.2002
Der niedrigste Preis und seine
Schattenseiten
von Fabian und
Cornelius Lange
Aldi ist durch
das Handelsprinzip des niedrigsten Preises zum größten
Weinhändler Deutschlands aufgestiegen. Rund zwanzig Prozent
aller in Deutschland verkauften Weine gehen dort über den
Ladentisch.
Direkt hinter der Ausfahrt Empoli an der dröhnenden Superstrada
Pisa-Firenze lauern die schwer bewaffneten Beamten des Corpo
Forestale delle Stato. Doch die italienische Forstpolizei winkt
keine Verkehrssünder raus, sondern prüft Tanklaster und
Traubentransporter, um Weinfälschern das Handwerk zu legen.
Commissario Luigi Bartolozzi schwitzt unter seinem Barett in der
Mittagshitze: "Zur Erntezeit besorgen sich die Weinfälscher
Trauben oder Wein von draußen – besonders wenn die Ernte
schlecht ausfällt." Mit diesem für italienische
Verhältnisse rigiden Kontrollen soll der ungebremste Fluss
billiger Weine aus Süditalien eingedämmt werden, der sich in
die nördlichen Weinbaugebiete ergießt.
2002 ist ein katastrophaler Jahrgang in Italien, wochenlanger
Regen hat für große Ernteausfälle gesorgt. Also werden die
Preise für Trauben, Most und Wein steigen und jenen Abfüllern
das Leben schwer machen, die bereits feste Lieferverträge mit
deutschen Discountern abgeschlossen haben. Ihnen bleibt nur die
Wahl, mit Verlust zu liefern, Vertragsstrafen zu zahlen, oder
aber "die zu Papiere korrigieren" wie der Vorgang der
Weinfälschung in Italien vornehm umschrieben wird. So wird der
Jahrgang 2002 doch noch ein großes Jahr – allerdings nur
für die Panscher.
Auch in der DOC "Prosecco di
Valdobbiadene e Conegliano" kennt man dieses Problem. Mit
dem DOC-Zertifikat wird die ausschließliche Herkunft der
Schaumweine aus dem kleinen Anbaugebiet garantiert. Höchstens 38
Millionen Flaschen geben die Weinberge her – so kostet eine
Flasche DOC-Prosecco heute mindestens 4 Euro in Deutschland. Nur
beim Handelsgiganten Aldinicht, dort geschah ein kleines Wunder:
Über Jahre wurde der DOC-Prosecco für konkurrenzlos billige
1,99 Euro verkauft, etwa 3 bis 4 Millionen Flaschen pro Jahr.
Bereits im Jahr 2000 informierte das
Prosecco-Schutzkonsorzium die Aldi-Süd Chefeinkäufer in
Mülheim persönlich über den Verdacht der Weinfälschung. Dort
reagierte man betont gelassen und hielt am Lieferanten Cesare
Grossi wie auch am Verkaufspreis fest – sogar als die
italienische Justiz auf Initiative der
Betrugsbekämpfungsbehörde "repressione frodi" aktiv
wurde. Im Oktober 2002 schließlich erging das Urteil: 8 Monate
Haft auf Bewährung für den geständigen Aldi-Lieferanten, weil
er 3,3 Millionen Flaschen Prosecco gefälscht und in den Handel
gebracht hat. Der Fall Grossi ist einzigartig, denn die
italienische Justiz ahndet Weinfälschungen selten. Doch Grossi
trieb es zu weit: In seiner Abfüllanlage lässt nur ein
vergilbter Zettel mit dem Firmennamen an der Klingel darauf
schließen, dass dies der Geburtsort des meistgetrunkenen
Prosecco in Deutschland ist. Auch unerfahrene Weineinkäufer
hätten beim Anblick der ehemaligen Hühnerfarm mit ihren 40
rostenden Tanks stutzig werden müssen.
Erst im Herbst 2002 reagierte der Aldi-Konzern und listete den
Blockbuster aus. "Beim Prosecco handelt es sich um ein
saisonales Produkt, das aus dem Programm genommen worden
wurde.", begründet Aldi-Chefeinkäufer Thomas Hüsken
offiziell den Rückzug aus dem lukrativen DOC Prosecco-Geschäft.
Auch in der DOCG-Ursprungszone Chianti
zwischen Pisa und Siena lässt sich bei der Umwandlung billigster
Tafelweine zu DOCG-Chianti viel Geld machen: Ein Tanklaster mit
Chianti ist 80.000 Euro wert, einer mit Tafelwein nur 20.000:
macht 60.000 Euro Gewinn durch einen Federstrich – und das
Risiko entdeckt zu werden ist gleich Null. Bei den
vorgeschriebenen DOCG-Schutzbanderolen haben Fälscher ebenfalls
ein leichtes Spiel, da sie nicht auf Wasserzeichenpapier gedruckt
sind. Hinzu kommt, dass sich Weinfälschungen analytisch nur
selten nachweisen lassen.
"In den letzten sechs bis sieben Jahren haben praktisch alle
Chianti-Betrugsfälle, die aufgetaucht sind, auf den deutschen
Markt geführt.", sagt Luca Gianozzi, Direktor des
Chianti-Schutzkonsortiums. Im Gegensatz zur Justiz haben die
Konsortien ein vitales Interesse daran, dass die Weinpanscher
auffliegen: Wird zuviel Wein eingeschleust, fällt der Weinpreis
in den Appellationen. "Auf keinem Markt wird so aggressiv an
der Preisschraube gedreht wie in Deutschland.", sagt
Gianozzi. 1999 zum Beispiel haben zwei Abfüller im Chianti
Classico rund 5 Millionen Flaschen "Chianti" an die
deutsche Metro-Kette verkauft: für rund einen Euro pro Flasche.
Ein Netzwerk von Zulieferern hat die Papiere in gewohnter Weise
"korrigiert". Gegen die Fälscher ist in Pisa
mittlerweile Anklage erhoben worden.
Das Millionengeschäft mit den Discountweinen wickelt in
Deutschland eine kleine Händlerclique ab – jeder kennt
jeden. Diese Importeure beteuern regelmäßig alles zu tun, um
die Verbraucher vor gefälschten Weinen zu schützen. Die
Verantwortung, so sagen sie, läge allein bei den italienischen
Produzenten. Der Abfüller Roberto Castellani ist einer von
ihnen: 1981 kam sein Exportumsatz nach Deutschland auf
dreißigtausend Mark. Heute zählt er zu den ganz Großen –
sein Umsatz wird auf 25 bis 30 Millionen Euro geschätzt, mit
einem operativen Gewinn von rund 23 Prozent. Aldi hat jährlich
rund acht Millionen Flaschen Castellani-Chianti für unschlagbare
1,99 verkauft, das sind zehn Prozent der
Chianti-Jahresproduktion. Mit seinem Preis lag der Wein ebenfalls
unter den Produktionskosten. Erst im August 2002 hat Aldi den
Preis auf 2,49 Euro erhöht. Vielleicht weil die
Staatsanwaltschaft in Pisa gegen Castellani wegen des Verdachts
auf Weinfälschung ermittelt.
"Das ist ein deutsches Problem", lautet unisono der
Kommentar auf italienischer Seite. Dort wird auf die
Einkaufspolitik der Großdiscounter verwiesen, die
jahrgangsabhängige Preissteigerungen nicht an ihre Kunden
weitergeben, weil die deutschen Discounterkonsumenten nur auf den
Preis achten. Die Verbraucherschutzbehörden in Deutschland
hingegen beklagen, dass die Weinfälschung in Italien als
Kavaliersdelikt gilt und so gut wie nie Anklage erhoben wird.
Ohne rechtskräftiges Urteil jedoch können die deutschen
Behörden nicht aktiv werden. Und wenn die Weinstaatsanwaltschaft
in Bad Kreuznach in Italien um Amtshilfe bittet, erhält sie nach
langer Zeit standardisierte Absagen – ein Teufelskreis. So
kommt es, dass der Verbraucherschutz in Sachen Weinfälschung
ebenso hilflos ist wie Commissario Bartolozzi Versuch, die
Weinvermehrung durch Verkehrskontrollen einzudämmen. Weine in
Paragraphen
Das italienische Weingesetz ist in vier Stufen gegliedert:
Die unterste Stufe bildet VdT ”Vino da Tavola”,
für Weine ohne§ Jahrgangs- und Herkunftsangabe.
IGT ”Indicazione Geografica Tipica” steht§ für
Weine, die den DOC-Status anstreben.
DOC ”Denominazione di Origine§ Controllata” ist
die Kennzeichnung von Weinen aus einer gesetzlich definierten
Anbauzone. (z.B. Prosecco di Valdobbiadene e Conegliano)
Die oberste Stufe§ ist den 22 DOCG-Weinen vorbehalten:
”Denominazione di Origine Controllata e Garantita”. Sie
sind durch rote, nummerierte Banderolen gekennzeichnet. (z.B.
Chianti und Chianti Classico)
Leserbriefe
Kommentar aus der "Zeit", Heft
51 vom 12.12.2002
Der niedrigste Preis und seine
Schattenseiten
Hallo allerseits,
wen wundert da noch was? In Deutschland wird stets nach
"billig" geschrien, also bekommt der deutsch Konsument
auch billig. Regelmäßig wiederkehrende Lebensmittelskandale
sind ein weiterer Indikator dafür. Solange in Deutschland nur
wenig Menschen bereit sind, für die Qualität ihrer Lebensmittel
auch angemessen zu bezahlen, wird sich an dieser Situation auch
nichts ändern. Wie sagt W. Siebeck so treffend, "In diesem
Land ist ein Liter Motoröl teurer als ein Liter Salatöl".
Liebe Leser,
es bekommt halt jeder den Wein den er verdient. Ich bekomme
regelmäßig Aussagen wie: Der Wein isch doch guat, von dem hob i
koi Kopfweh griagt." Für Nichtschwaben: Manche Konsumenten
machen die Qualität eines Produktes daran fest, ob sie davon
Kopfweh bekommen oder nicht. Würde ein Konsument von einem
Schnitzel Kopfweh bekommen, dann wäre der Skandal groß.
Prost Aldi
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